Bundesgerichtshof: Keine Pflicht zur qualifizierten Zeugenbelehrung

Bundesgerichtshof – großer Senat – (AZ: GSST 1/16): Keine qualifizierte Belehrungspflicht des vernehmenden Richters

Der große Senat hat entschieden, dass die Vernehmung eines Richters über den Inhalt der Aussage eines Zeugen, der in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, auch dann zulässig sei, wenn der Zeuge in der zuvor durchgeführten richterlichen Vernehmung nicht ausdrücklich darüber belehrt wurde, dass seine dort gemachte Aussage auch dann verwertbar bleibe, wenn er später von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch mache.

Der Entscheidung ist in einem Punkt zuzustimmen: ein Tätigwerden des Gesetzgebers zur Klärung der praxisrelevanten Problembereiche der §§ 252, 52 StPO wäre sicher hilfreich.

Ansonsten ist die Entscheidung des großen Senats abzulehnen. Sie widerspricht der überwiegenden Literaturmeinung sowie der Ansicht des vorlegenden 2. Senats des BGH. An dieser Stelle braucht hierauf nicht weiter eingegangen zu werden. Die Argumente sind hinlänglich bekannt. Der große Senat vertritt nach wie vor die Ansicht, dass es für Zeugen „erkennbar“ höhere Bedeutung habe, von einem Richter vernommen zu werden. Zudem bringe das Gesetz richterlichen Vernehmungen allgemein ein „höheres Vertrauen entgegen“.

Soweit also nichs neues. Der große Senat gelangt zu seinem Ergebnis durch „Auslegung“ des Gesetzestextes: dem geneigten Leser empfehle ich daher vor (und ggfls. auch nach) der Lektüre der Entscheidung unbedingt den erhellenden Aufsatz von Ralph Christensen „Das Paradox der Rechtsentscheidung“ (abgedr. in : Kudlich / Montiel / Schuhr (Hrsg.), Gesetzlichkeit und Strafrecht) zu lesen und sich die dortigen Ausführungen zu Methodenlehre und Dezisionismus anzusehen (vgl. hierzu auch die Rezension von Grasnick GA 2016, 483 ff.).